
Die Saatgutbeizung steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Seit Fludioxonil – die Basis der in Deutschland zugelassenen Beizmittel – im November 2024 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als endokriner Disruptor eingestuft wurde, ist sicher, dass ein Verbot des Wirkstoffes in der EU kommen wird. Was bedeutet das für die Getreidezüchtung und damit auch für die Landwirtschaft?
Fludioxonil bildete einen zentralen Bestandteil vieler bewährter Beizen gegen samen- und bodenbürtige Pilzkrankheit im Getreide, wie Landor® CT, Rubin® Plus oder Vibrance® Trio. Ohne diese Beizen wird es in Deutschland keinen ausreichenden Schutz gegen Flugbrand geben und im Hafer steht nach einem Verbot sogar keine zugelassene chemische Beize mehr zur Verfügung. Kurz bis mittelfristig sind keine Neuzulassungen zu erwarten. Somit ist die zu erwartende Auswirkung auf die Saatgutproduktion und den Anbau von Wintergetreide groß.
Alternativen wie die Elektronenbeize haben eine sehr gute Wirkung gegen auf der Samenschale sitzende Erreger jeglicher Art. Sie sind jedoch nicht wirksam gegen Keimlingsinfektionen wie Flugbrand oder bodenbürtige Erreger und können den Keimling nicht schützen. Der Flugbranderreger infiziert den Keimling und bricht erst in der aus dem Keimling entstehenden Pflanze sichtbar aus. Die anstelle der Ähre entstehenden schwarzen Sporenlager infizieren dann umliegende Pflanzen. Daher wird auch bei Elektronenbeizung empfohlen, Z-Saatgut nur aus chemisch gebeizten Basissaatgut zu erzeugen.
Z-Saatgut liefert eine gewisse Sicherheit gegenüber Flugbrand, da nur Flächen mit max. 5 Ähren/Zählstrecke zur Saatgutproduktion zugelassen werden und somit eine unabhängige Überprüfung auf Flugbrandbefall stattfindet.
Zum Redaktionsschluss gab es noch keine Information über die Entscheidung des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) zum Zeitpunkt des Verbotes. Jedoch ist davon auszugehen, dass das Mittel noch bis Herbst 2026 angewendet werden darf.
Lebenszyklus Getreide-Flugbrand
- Überwinterung: Der Pilz überlebt in den Samen der Getreidepflanzen, z. B. Weizen, Hafer oder Gerste als Myzel.
- Keimung und Infektion: Bei der Keimung des infizierten Saatguts wird der Pilz aktiv und dringt in den Keimling ein.
- Systemische Infektion: Das Myzel des Pilzes verbreitet sich systemisch in der wachsenden Pflanze, ohne sichtbare Symptome zu verursachen.
- Brandährenbildung: Anstelle der normalen Ähren oder Rispen werden Brandähren gebildet, die eine Masse aus schwarzen Sporen enthalten.
- Sporenverbreitung: Die Sporen werden durch Wind und Regen von den Brandähren freigesetzt und können andere Pflanzen infizieren.
- Infektion neuer Pflanzen: Wenn die Sporen auf oder unter die Spelzen von gesunden Ähren gelangen, können sie inaktiv bleiben oder keimen und ein Myzel bilden, das nach der Aussaat in den Keimling eintritt. Der Kreislauf beginnt erneut.
praxisnah wollte von Getreidezüchtern wissen: „Welche Auswirkungen hätte ein Wegfall von Fludioxonil Ihrer Meinung nach auf Ihre Arbeit und auf die Landwirtschaft?“
Nordsaat Saatzucht GmbH
Dr. Steffen Beuch | Züchtung Hafer, Saatzuchtleiter
„Ohne Fludioxonil gibt es nach gegenwärtigem Stand im Haferanbau ab der Herbstaussaat 2026 keine zugelassene chemische Beize mehr. Insbesondere Flugbrand wird dadurch zu einer sehr ernsten Bedrohung. Die gegenwärtig im Anbau verbreiteten Hafersorten sind gegen Flugbrand anfällig. Resistenzen gegen diese samenbürtige Krankheit des Hafers sind zwar bekannt, müssen aber erst in leistungsfähige Hafersorten übertragen werden. Dies ist nur mittelfristig mit hohem zusätzlichem Kostenaufwand erreichbar. Im Grundsatz gilt das für alle Getreidearten, die wir züchten. Bis dahin bleibt lediglich die Nutzung von Z-Saatgut als geprüfte, nahezu flugbrandfreie Alternative übrig.“
Elisabeth Rittweger | Saatgutproduktion
„Für uns als Züchter bedeutet der Wegfall von Fludioxonil ein enormes Risiko. Die Weiterentwicklung der Stämme sowie auch der dazugehörige Generationsaufbau der Sorten erfolgt auf engstem Raum in unserem Zuchtgarten. Eine Infektion mit den bekannten Brandkrankheiten könnte zu einem Verlust der Selektionsgüte und zu einem Mangel an Vorstufensaatgut führen. Für unsere deutsche Saatgutproduktion bedeutet der Wegfall, dass wir neue Hygienekonzepte erstellen müssen. Durch die strenge Saatgutanerkennung wird schon immer gewährleistet, dass wir Infektionen früh erkennen und Flächen gegebenenfalls auch aberkannt werden. Für die anschließenden Schritte wird es zukünftig erforderlich sein, dass infiziertes Material immer separiert wird. Das alles ist nur mit enorm hohem Aufwand in der Reinigung von Ernte- und Aufbereitungstechnik möglich.
Umso wichtiger wird es aber, die Versorgungslage mit gesundem Z-Saatgut zu sichern. Nur Z-Saatgut unterliegt der strengen Kontrolle durch die Anerkennungsstellen und so wird neben der guten Keimfähigkeit in Zukunft vielleicht auch der Nachweis einer niedrigen Sporenbelastung seinen Platz auf den Anerkennungsattesten einnehmen.“
Südwestdeutsche Saatzucht GmbH & Co. KG
Uwe Schöttle | Geschäftsführung der Südwestdeutschen Saatzucht
„Zwergsteinbrand ist ein sehr gefährlicher Pilz. Wir hatten ihn im konventionellen Anbau durch den konsequenten Einsatz von gebeiztem Saatgut (in den letzten Jahrzehnten nur noch Landor® CT-) faktisch eliminiert, im ökologischen Landbau war dieser Erreger jedoch ein dauerhaftes Problem. Zwergsteinbrand tritt verstärkt – jedoch nicht ausschließlich – in Höhenlagen auf. Wenn größere Erntemengen nach Fischmehl riechen, helfen auch mechanische Maßnahmen wie Bürstenreinigung nicht mehr. Also: Wenn Befall, dann in die Biogasanlage! Das Einzige, was hilft: Sauberes Saatgut – im Ökobereich noch wichtiger als im konventionellen – und ein unverseuchter Acker! Eine Züchtung mit Ausrichtung auf resistente Sorten ist nicht bezahlbar und wird Jahre brauchen, bis sich eventuell ein Erfolg einstellt. Zumal ja die anderen Züchtungskriterien wie Ertrag, Backqualität, Standfestigkeit, Blattgesundheit usw. nach wie vor von großer Bedeutung sind. Man überlege sich, was für Anforderungen neue Züchtungsstämme noch erfüllen sollen! Mit einer fungiziden Beize kann mit wenigen Gramm Wirkstoff/ha eine exzellente Wirkung gegen samen- und bodenbürtige Pilzkrankheiten erzielt werden. Es gibt aus unserer Sicht keinen vernünftigen Grund, darauf zu verzichten.“
P.H. Petersen Saatzucht Lundsgaard GmbH
Dr. Peter Duchscherer | Leitung Zuchtabteilung Getreide und Leguminosen
„Wir haben bei uns am Standort Lundsgaard die Öko-Wertprüfung Wintergerste stehen und kontrollieren während des Ährenschiebens nahezu täglich, ob von Brand befallene Ähren zu finden sind. In einzelnen Jahren haben wir an verschiedenen Genotypen befallene Ähren gefunden, die wir direkt eingetütet und entsorgt haben, um eine Weiterverbreitung zu unterbinden.
Der landwirtschaftliche Betrieb Lundsgaard hat vor drei Jahren eine Charge elektronengebeizte Wintergerste ausgedrillt und konnte im Folgejahr erstmalig Flugbrand auf einzelnen Ähren feststellen. Die Beizung hat also nur – wenn überhaupt – eingeschränkt gewirkt.
Das zeigt aber auch: Falls die Beizen, die gegen die verschiedenen Brände wirken, wegfallen sollten, dann dürfte die „Brandgefahr“ nicht auf den Öko-Bereich beschränkt bleiben.“
W.v. Borries-Eckendorf GmbH & Co. KG
Hendrik Lummer | Saatgutproduktion
„Es ist davon auszugehen, dass ohne diesen Wirkstoff zukünftig samenbürtige Krankheitserreger zunehmen werden. Bei entsprechender Witterungslage kann sich der Krankheitsdruck ausbreiten, sodass der Ernteaufwuchs nicht mehr für Futter, Saat, Backzwecke geeignet ist.Sind belastete Partien mit einem Mähdrescher beerntet worden, werden die folgenden Druschfrüchte / Partien aus der Erntemaschine ebenfalls mit den Sporen infiziert. Belastete Flächen wären für ca. 9 Jahre als Flächen für die Saatgetreidevermehrung nicht mehr geeignet. Das hat erhebliche Konsequenzen nicht nur für die Züchtung, sondern auch für die Vermehrer.
Für mich ergeben sich eine Reihe von offenen Punkten:
- Müssten zukünftig dann alle Partien auf die Sporenbelastung untersucht werden? Gäbe es dazu ausreichend Labor-Kapazitäten zur Untersuchung?
- Was passiert mit belasteten Partien? Oder auch mit belasteten Siebabgängen?
- Wie soll mit
dem Mähdrescher im Anschluss verfahren werden, wenn eine hochbelastete Partie geerntet wurde? Wie soll eine Getreidereinigungsanlage anschließend nach einer belasteten Partie entsprechend gesäubert werden? - Auch ist der Anwenderschutz für die Bediener von Erntemaschinen und Lagertechnik bei befallenen Partien noch ungeklärt.
Ich sehe die Getreidezüchtung und Saatgutvermehrung zukünftig ohne die Anwendung von Universalbeizen vor einer großen Herausforderung.“
Getreidefonds Z-Saatgut e. V.
Dr. Jürgen Peukert | Referent Produkt & Service Z-Saatgut
„Gesundes Saatgut gewinnt an Bedeutung. Die Rahmenbedingungen für die Saatgutbehandlung verändern sich: Der drohende Wegfall einzelner, bewährter Wirkstoffe wird die Verfügbarkeit etablierter, chemischer Beizmittel in Zukunft deutlich reduzieren. Diese Entwicklung stellt die Saatgetreidebranche in Deutschland zunehmend vor große Herausforderungen. Gemäß den Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes konnten bislang durch den gezielten Einsatz chemischer Beizmittel die hohen Qualitätsanforderungen an zertifiziertes Saatgut mit minimalen Aufwandmengen sichergestellt und ein wesentlicher Beitrag zur Etablierung gesunder Pflanzenbestände geleistet werden.
Zwar gibt es bereits alternative Saatgutbehandlungsmethoden, die ebenfalls einen gewissen Schutz vor boden- und/oder samenbürtigen Krankheitserregern bieten, jedoch sind diese Verfahren derzeit noch nicht flächendeckend in Deutschland im Einsatz, da eine Umstellung der Aufbereitungstechnik u. a. sehr zeit- und kostenintensiv ist.
Aus diesem Grund kommt geprüftem, hochwertigem Ausgangsmaterial (Basissaatgut) zukünftig eine entscheidende Rolle bei der Erzeugung gesunder Pflanzenbestände zu – ganz gleich, welche Behandlungstechnologien eingesetzt werden.“
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Die Saatgutbeizung steht mit dem anstehenden EU-weiten Verbot von Fludioxonil vor einem Wandel. Verschiedene Experten aus der Saatgutbranche kommen hier zu Wort und schätzen aus ihrer Perspektive die Situation ein. Im Detail verschieden, ist man sich aber darüber einig, dass das Verbot die Situation für Züchtung und Vermehrung - und damit auch für den gesamten Ackerbau - erheblich erschweren wird. Umso wichtiger wird für gesunde Pflanzenbestände geprüftes Z-Saatgut werden.