LSV, BSV & Co: Darauf kommt es bei der Wahl der Weizensorte an!

Jedes Jahr gilt es bei den großen Kulturarten, sich aus einem sehr großen Sortiment die geeigneten Sorten herauszupicken. Soll man bei der Sorte bleiben, mit der man eigentlich ganz zufrieden war oder soll man doch mal eine neue Sorte ausprobieren, um den Zuchtfortschritt nicht zu verpassen? Martin Munz, Fachberater für Baden-Württemberg, erläutert die verschiedenen Prüfsysteme, die unsere Sorten durchlaufen (müssen) und wie man Sorten-Bewertungen richtig interpretiert.

Je nach Fruchtart steht oft eine unüberschaubare Zahl an Sorten zur Auswahl, was die Sortenwahl nicht einfach macht. Besonders bei Mais – hier stehen alleine 268 Silomaissorten aktuell in der Beschreibenden Sortenliste, mehr als 700 sind in Deutschland vertriebsfähig – sieht sich der Landwirt angesichts der Sortenflut oft überfordert. In diesem Artikel geht es jedoch darum, nach welchen Kriterien die Sorte(n) beim Winterweizen auszusuchen sind.

Zwar gibt es beim Winterweizen nicht ganz so viele Sorten wie bei Mais, aber auch hier sind über 100 Sorten und 10 EU-Sorten mit Saatgutproduktion in der aktuellen Beschreibenden Sortenliste eingetragen. Hinzu kommt noch eine weitere Anzahl an Sorten mit EU-Zulassung, die sich auf dem deutschen Markt tummeln.


Neutrale Sortenversuche sind unverzichtbar!

Nach wie vor bieten die Ergebnisse aus den regionalen Landessortenversuchen (LSV) die beste objektive Informationsquelle über Leistung und Eigenschaften der Sorten. Allein die Tatsache, als Sorte im LSV-Sortiment geprüft zu werden, ist schon eine Auszeichnung für eine Sorte.

Doch zunächst muss eine Weizensorte in Deutschland quasi eine „3-jährige Lehre“ absolvieren, bevor sie durch das Bundessortenamt (BSA) eine Zulassung erhält: in der Wertprüfung des BSA, die bundesweit 3 Jahre lang auf mehreren Standorten stattfindet. Die Standorte sind dabei so ausgewählt, dass sie alle Klimaregionen abbilden. Um eine Zulassung als Ökosorte zu bekommen, gibt es auch eine ähnliche Prüfung für geeignete Kandidaten auf Öko-Standorten. Es zeigt sich, dass der Dreijahreszeitraum auf jeden Fall erforderlich ist, da die Jahreseinflüsse durch extrem schwankende Witterung mittlerweile ganz erheblich sein können.

Absolvieren die „Lehrlinge“ – also die Stämme/Sortenkandidaten – die 3 Jahre Wertprüfung erfolgreich, bekommen sie eine Sortenzulassung, wenn sie gegenüber dem bereits vorhandenen Sortiment in ihren Eigenschaften oder in der Kombination einiger Eigenschaften eine Verbesserung darstellen und werden dann in der Beschreibenden Sortenliste veröffentlicht.


Flussdiagramm zeigt den Prozess zur offiziellen Empfehlung einer Weizensorte, von EU-Prüfung über Wertprüfung bis zur LSV-Prüfung. (automatisch generiert durch KI)
Werdegang einer Weizensorte bis zur offiziellen Empfehlung


Die Weizenneuzulassungen erfolgen erst im darauffolgenden Frühjahr nach der 3-jährigen Wertprüfung. Deshalb werden alle Stämme nach der Ernte des letzten WP-Jahres gleich im Herbst ausgesät und in einem sogenannten Bundessortenversuch (BSV) geprüft. Dieser umfasst bundesweit ca. 30 Orte, die bereits eine erste regionale Auswertung ermöglichen.

Einige Länderdienststellen entscheiden sich gleich dafür, nach der Datenlage der 3-jährigen WP einige Stämme in die LSV aufzunehmen. In Baden-Württemberg zum Beispiel absolvieren alle potenziellen Sortenkandidaten erst mal den BSV quasi als „Gesellenjahr“, bevor sie die „Meisterprüfung“ in den LSV antreten.

Neben den deutschen Sortenzulassungen können auch EU-Sorten den Weg in die LSV finden. Hierfür gibt es eine 2-jährige EU-Prüfung in Deutschland, für die Sorten mit EU-Zulassung angemeldet werden können. Wird diese Prüfung erfolgreich absolviert, werden diese Sorten auch in den LSV übernommen und in der Beschreibenden Sortenliste beschrieben. Diesen Weg hat beispielsweise die Sorte Chevignon beschritten, die in den letzten 4 Jahren bezogen auf die Vermehrungsfläche hierzulande zur größten Sorte avancierte.


„Meisterbrief“: offizielle Empfehlung

Erbringt eine Sorte über mehrere Jahre über die verschiedenen Standorte stabile Leistungen, erhält sie eine offizielle Empfehlung der Länderdienststellen, was quasi als Auszeichnung dem „Meisterbrief“ gleicht, um im Bild zu bleiben.

Wer eine Sorte mit offizieller Empfehlung auswählt, kann sicher sein, dass die Sorte mehrjährig auf Herz und Nieren geprüft wurde. Dieses Angebot ist eine Gratisleistung des Staates und sollte gegenüber anderen Empfehlungen, bei denen die Sorten nicht auf einer so breiten Datenlage beruhen, bevorzugt werden.

Um schneller vom Zuchtfortschritt profitieren zu können, kann zu Testzwecken auch mal eine Sorte auf kleinerer Fläche in den Anbau genommen werden, die nach ein- oder zweijähriger Prüfung mit herausragender Leistung aufwartet. Sortenergebnisse aus anderen Klimaräumen oder aus dem Ausland sind wenig aussagekräftig, weil Infos über die regionale Eignung fehlen. Unzuverlässig sind auch Versuchsergebnisse aus Streifenversuchen ohne Wiederholungen, denn hier überdecken Bodenunterschiede oft Unterschiede in der Sortenleistung.


Diagramm zeigt die Fallzahlstabilität von A-Weizen LSV 2025 in Baden-Württemberg mit verschiedenen Sorten als Punkte markiert. (automatisch generiert durch KI)
Fallzahlstabilität Winterweizen


Unterschiedliche Kriterien bei der Sortenwahl

Welche Sorteneigenschaften bei der Sortenwahl im Vordergrund stehen, kann von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein. Handelt es sich um einen Veredelungsbetrieb, der seine Ernte ganz oder überwiegend an seine Tiere verfüttert, stehen ertragsstarke B oder C-Weizen im Vordergrund. Dagegen rücken die Qualitätseigenschaften bei den Marktfruchtbetrieben in den Fokus, welche die guten Qualitäten von höherwertigen A- oder E-Weizen bezahlt bekommen.

Fallzahl: Das Erntejahr 2025 hat mal wieder gezeigt, dass bei der Sortenwahl die einzelnen Qualitätseigenschaften unterschiedlich gewichtet werden müssen. Die längere Erntepause durch regenreiche Witterung hat bei den späteren Druschterminen z. T. zu schwachen Fallzahlen geführt – oft wurden nur noch Futterqualitäten geerntet. Die Jahre häufen sich, in denen in manchen Regionen witterungsbedingt nicht rechtzeitig geerntet werden kann und schwache Fallzahlen in Kauf genommen werden müssen.

Die Abb. 2 zeigt die Streuung der Sorten an den einzelnen Prüforten. Nicht zu beeinflussende Sorteneigenschaften wie Fallzahlstabilität und Winterhärte müssen bei der Sortenwahl höher gewichtet werden als beispielsweise Krankheitsanfälligkeiten, die bei Bedarf durch Fungizidmaßnahmen kontrolliert werden können. Da durch die milderen Winter Auswinterungen kaum mehr stattfinden, werden die neuen Sorten einer Provokationsprüfung (Kastenversuche) unterzogen, um Hinweise zur Winterfestigkeit der Kandidaten zu bekommen.

Abgeschwächt gilt das auch für den Befall mit Ährenfusarium, weil Behandlungsmaßnahmen zur Blüte oft nur ein sehr kurzes Zeitfenster erlauben und die Wirkungsgrade der wenigen Präparate begrenzt sind. Um die Sorten besser hinsichtlich ihrer Toxinbildung bei Fusarium (DON-Gehalt) einschätzen zu können, sind Ergebnisse aus den LSV von Befallsstandorten und Provokationsversuchen aussagekräftiger als die Einstufung aus der Bundessortenliste, die allein auf optischen Feldbonituren beruht. Hier gibt es immer wieder Sorten, die trotz höherer Einstufung geringere DON-Werte aufweisen (s. Abb. 3, z. B. SU TAMMO) oder umgekehrt (z. B. KWS Keitum).


Balkendiagramm zeigt DON-Gehalt und Bewertung von Winterweizensorten in Bayern von 2020 bis 2025. Sorten auf x-Achse, DON-Wert auf y-Achse. (automatisch generiert durch KI)
DON-Gehalte Winterweizen


Auf die Herkunft der Bewertungen und Noten achten!

In Deutschland zugelassene Weizensorten bekommen Ausprägungsstufen (APS) – in der Praxis verwendet man eher den Begriff „Noten“ – für ihre Eigenschaften hinsichtlich Agronomie (Ährenschieben, Reife, Länge, Lager), Gesundheit (Mehltau, Halmbruch, Blattseptoria, DTR, Gelb- u. Braunrost, Ährenfusarium) und Ertrag (Bestandesdichte, Kornzahl/Ähre, TKM). Auch die zahlreichen Qualitätseigenschaften werden eingestuft. Relativ neu ist die Bewertung der Sorte hinsichtlich N- und Proteineffizienz. Dabei gibt es Noten von 1 bis 9. 1 ist eine geringe Ausprägung des beschriebenen Merkmals und 9 eine sehr hohe. Sollte sich eine Eigenschaft einer Sorte während ihrer Prüfzeit in den bundesweiten LSV verändern, aktualisiert das BSA die Noten und passt diese an. Die Veränderungen können dabei in beide Richtungen gehen, also zu einer Verschlechterung führen oder zu einer Verbesserung, wenn neue Erkenntnisse dies rechtfertigen. So wurde z. B. die Triticalesorte Bicross in der Anfälligkeit gegenüber Ährenfusarium von der Note 4 auf 3 besser bewertet. Die Sortenliste erscheint einmal im Jahr.


Aber Achtung: Die Bewertungen des Bundessortenamtes basieren auf vielen Beobachtungen und Ergebnissen. In Versuchsfeldführern findet man aber nicht nur diese basierten Bewertungen. Bei Sorten, die nicht in der Beschreibenden Sortenliste aufgeführt sind, finden sich in der Regel Bewertungen, die von den Züchtern oder Vertreibern dieser Sorte stammen. Wichtig ist somit für die Leser diverser Versuchsfeldführer zu erkennen, wer der Autor der Noten ist, die dort aufgeführt sind. Bei Nicht-BSA-Bewertungen ist eine gewisse Skepsis angebracht. Seriöse Züchter und Vertreiber von EU-Sorten testen diese zuvor im Vergleich mit bekannten Sorten und gruppieren die Eigenschaften entsprechend ein (s. auch www.praxisnah.de/202234). Wird eine Sorte in den Versuchsfeldführern in den wichtigen Eigenschaften überall mit Bestnoten präsentiert, sollte dies infrage gestellt werden.


Offizielles neutrales Prüfsystem muss erhalten bleiben!

Unter anderem aufgrund der knappen Finanzlage kommt es immer wieder zu Diskussionen, wo man im Versuchswesen Kosten einsparen könne, oder ob man überhaupt ein Sortenprüfwesen durch den Staat braucht. In einigen Bundesländern wurden die Prüfstandorte schon stark ausgedünnt, was die Aussagekraft zur regionalen Sortenleistung infrage stellt.

Private Sortenversuche von Beratungsringen und Handel versuchen, diese Lücke zu füllen. Die Qualität dieser Versuche ist, sofern es sich um Exaktversuche mit Wiederholungen handelt, mit denen der LSV vergleichbar. Da es sich jedoch um Bezahlversuche der Auftraggeber handelt, sind die Sortimente nach deren Finanzlage und Interessen zusammengestellt.

Das staatliche Prüfwesen hingegen schafft Chancengleichheit für alle Züchter.


Schnell gelesen (Kurzfassung):

Die Sortenwahl bei Winterweizen ist anspruchsvoll, da über 100 Sorten zur Verfügung stehen. Neutrale, staatlich organisierte Prüfungen wie die Landessortenversuche (LSV) und der Bundessortenversuch (BSV) bieten objektive Informationen zur Leistungsfähigkeit neuer Sorten. Vor der offiziellen Zulassung müssen Sortenkandidaten eine dreijährige Wertprüfung durchlaufen. Erst danach werden sie bei entsprechender Leistung in die beschreibende Sortenliste aufgenommen und ggf. offiziell empfohlen – ein „Meisterbrief“ für bewährte Sorten.

Entscheidend bei der Sortenwahl sind standortangepasste Eigenschaften wie Fallzahlstabilität, Winterhärte und Fusariumresistenz, da diese kaum durch Maßnahmen beeinflussbar sind. Qualität und Ertrag spielen je nach Betriebsform eine unterschiedlich große Rolle. N

Bewertungen in Versuchsfeldführern von Sorten ohne deutsche Zulassung müssen dann kritisch hinterfragt werden, wenn durchweg sehr positive Bewertungen zu finden sind. Private  Versuche sind zwar meist Exaktversuche, aber die Auswahl der Sorten erfolgt nach Budget der Versuchsansteller - nur offizielle Prüfungen (z. B. vom BSA, LSV) gelten als objektiv. Das offizielle Prüfwesen sichert gleiche Chancen für alle Züchter und sollte trotz Sparzwängen erhalten bleiben.

Tipp: Sorten mit offizieller Empfehlung sind die sicherste Wahl, da sie breit und über Jahre geprüft wurden. Neue Sorten können testweise auf kleiner Fläche angebaut werden.