
Klimawandel, Extremwetter und steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit verändern die Rahmenbedingungen im Ackerbau. Für Roggen heißt das: Standfestigkeit, Ertragssicherheit und (noch) weniger Pflanzenschutzmitteleinsatz gewinnen weiter an Bedeutung. Dr. Dörthe Siekmann, Leiterin Forschung und Entwicklung HYBRO Saatzucht GmbH, erläutert Züchtungsstrategien, die den Roggen für diese Herausforderungen fit machen.
Klimatische Veränderungen wie Starkregenereignisse > 200 l/m² in kurzer Zeit führen zu Lager und Qualitätsverlusten. Dass sich späte und/oder starke Niederschläge auf die Qualität auswirken, zeigen auch die diesjährigen Daten der Besonderen Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE): Roggen ist in diesem Jahr unter ungünstigen Erntebedingungen etwas enzymaktiver, die Fallzahlen also eher schwächer.
Auch die Produktion soll klimaschonender werden
Vor diesem Hintergrund rückt ein vollkommen neuer Sortentyp in den Fokus: Hybridroggen mit genetisch verkürztem Halm, vermittelt durch das Kurzstrohgen Ddw1. Diese natürliche Genvariante wurde vor über 50 Jahren in der Sammlung pflanzengenetischer Ressourcen am Vavilov-Institut in St. Petersburg erstmals beschrieben. Das vom Julius Kühn-Institut (JKI) vor rund 15 Jahren entwickelte Konzept ist nun in der Hybridroggenzüchtung angekommen – ein Paradigmenwechsel! Die HYBRO Saatzucht unterstützt die Entwicklung dieser Pflanzeninnovation seit mehr als einem Jahrzehnt, um Experimentalhybriden maßstabsgerecht zu erzeugen und belastbar zu prüfen. Zunächst in der Deutschen Innovationspartnerschaft (DIP) Agrar, anschließend im europäischen Netzwerk ERA-NET SusCrop und aktuell im Rahmen der Förderrichtlinie „Moderne Züchtungsforschung für klima- und standortangepasste Nutzpflanzen von morgen“ des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) sammelt die HYBRO Saatzucht mit ihren Partnern neues Wissen auf Basis wissenschaftlicher Methoden. So kann sich das Unternehmen im internationalen Wettbewerb positionieren und nachhaltige Landwirtschaft mitgestalten.
Wuchshöhe – ein Dauerbrenner in der Roggenzüchtung
Seit Jahrzehnten zählt die Optimierung der Wuchshöhe zu den zentralen Zuchtzielen im Roggen. Das spiegelt sich in den Namen traditioneller Populationssorten wie Carstens Kurzstrohroggen, Edelhofer Kurzstrohroggen, Gülzower rezessiver Kurzstrohroggen oder Petkuser Kurzstrohroggen wider. Ziel damals wie heute: Standfestigkeit erhöhen, Lager reduzieren und die Ernteführung verbessern, ohne Leistung einzubüßen. Methodisch gab es in den vergangenen 30 Jahren jedoch nur begrenzte Fortschritte. Eine Ausnahme bildet „Festus“ (Zulassung 2006; HYBRO): eine Hybridsorte, die den Typ standfester, moderner Halbzwerge in der Praxis greifbar machte – und damit den Weg für die heutige, markergestützte Präzisionszüchtung ebnete. Mit Weitblick wurde die Genetik seitdem mit Sorten wie SU Performer (Ertragsstabilität) und SU Karlsson (Mutterkornabwehr) konsequent weiterentwickelt: Um auch in Zukunft den sich wandelnden Anforderungen von Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz gerecht zu werden.
Was Halbzwerge leisten: Klima, Praxis, Qualität
Die Begleitforschung am JKI identifiziert Stärken und noch zu lösende Aufgaben dieses vollkommen neuen Sortentyps und spart Lehrgeld in der Fläche:
- Standfestigkeit & Erntefenster: Kürzere Halme senken die Lageranfälligkeit – besonders bei Starkregen und Wind Ü stabile Erträge, leichterer Drusch, sauberere Bestände, weniger Nacharbeiten.
- Kein Wachstumsregler: Die architekturbedingte Standfestigkeit eröffnet den Verzicht synthetischer Wachstumsregulation.
- Bestandesgesundheit & Qualität: Gleichmäßiges, zügiges Abblühen verringert managementbedingte Risiken(u. a. Mutterkorn, Fallzahl), ersetzt aber Feldhygiene nicht.
- Boden & Ressourcen: geringere lagerbedingte Ernteverluste und effizientere Ressourcennutzung
RYE-HUB – das Drehkreuz der modernen Roggenzüchtung
Im Projekt RYE-HUB werden Grundlagen geschaffen, um zulassungsfähige Halbzwerge zuverlässig in die Praxis zu bringen – für eine regionale, klimarobuste Wertschöpfung – von der Saat bis zum Trog bzw. zur Mühle. Die HYBRO Saatzucht koordiniert diese Exzellenz-Forschung und treibt gemeinsam mit Nordic Seed Germany die großflächige Erprobung voran. Drei Bausteine beschleunigen den Fortschritt:
- Pan-Genom: Die genetische Vielfalt des Roggens wird umfassend sequenziert – Selektionsmarker für Resistenzen, Qualität und Anpassung lassen sich gezielt finden.
- JKI Open Source Rye (JOSY): Eine bisher fehlende Forschungsinfrastruktur, um das Erbe der genetischen Vielfalt zu sichern, zu dokumentieren und für Wissenschaft & Züchtung zugänglich zu machen.
- Doppelhaploide (DH)-Technologie: Zeitgewinn in der Linienentwicklung; genetische Vielfalt wird früher geprüft.
„In der Pflanzenarchitektur gibt es ein Optimum der Wuchshöhe. Zu lange Sorten (Standardhybriden) haben ein erhöhtes Lagerrisiko, zu kurze (Zwerge) haben Anpassungs- und Ertragsnachteile. Dieses Prinzip ist dank der Weizenforschung seit Langem belegt und gilt auch für Roggen. Halbzwerge benennen deshalb bewusst den optimierten Zwischenbereich: standfest, druschfreundlich, leistungsfähig. Ziel ist nicht ‚Mini-Roggen‘, sondern ein Ideotyp mit robuster, praxisgerechter Wuchshöhe.“ Dr. Dörthe Siekmann; Leiterin Forschung und Entwicklung bei der HYBRO Saatzucht und Koordinatorin des Exzellenzforschungsverbundes RYE-HUB |
Genetik mit Augenmaß: Restorergene, Kurzstrohquellen und saubere Selektion
Halbzwerg-Eigenschaften können unterschiedliche genetische Ursachen haben. Zugleich interagieren Genvarianten zur Verbesserung der Mutterkornabwehr mit Wuchshöhe und Bestandesarchitektur. In der Praxis heißt das:
- Verschiedene Kurzstrohquellen (z. B. Ddw1 oder rezessive Varianten wie ct1 und ct2) verhalten sich nicht identisch!
- Einzelne Merkmalsgene zur Mutterkornabwehr (z. B. Rfp1) können unerwünschte Effekte auf die Wuchshöhe mitbringen – abhängig vom genetischen Hintergrund.
- Durch eine zweite, unabhängige Kurzstrohquelle entsteht züchterischer Spielraum: Per Marker-Selektion wird die unerwünschte Komponente (z. B. ct2) entfernt, ohne den Halbzwerg-Effekt zu verlieren.
Genau hier setzt RYE-HUB an: markergestützte Präzisionszüchtung statt reiner Phänotyp-Beobachtung. Das beschleunigt die Entwicklung und minimiert genetische „Mitnahmeeffekte“. HYBRO treibt diesen Paradigmenwechsel voran – Ddw1 ist vollständig in die Produktentwicklung integriert. Zwischen Kreuzung und marktreifer Sorte liegen mehrere Entwicklungsjahre. Damit die Praxis lieferfähige Halbzwerge erhält, die nicht nur standfest sind, sondern in unterschiedlichen Umwelten verlässlich performen, muss sorgfältig geprüft werden.
Sorgfalt vor Geschwindigkeit
Neue Sortentypen erzeugen Dynamik – doch zwischen Versuchserfolg, Sortenschutz und Anbau in der Breite liegt die Aufgabe der zertifizierten Saatgutproduktion (Z-Saatgut). Sie verlangt Homogenität, Sortenreinheit, Keimfähigkeit und Gesundheitsstatus auf höchstem Niveau. Herausforderung beim Fremdbefruchter Roggen sind Vermehrungsflächen, die unerwünschte Fremdbefruchtung mit verbreiteten Normalstroh-Varianten zuverlässig ausschließen. Genau deshalb gilt: Sorgfalt vor Geschwindigkeit – von der Genetik bis zum Acker.
Fazit
Halbzwerge sind das Ergebnis einer langen, gemeinsam getragenen Entwicklung – von der wissenschaftlichen Konzeption bis zum belastbaren Transfer in die Breite. So werden Klimaschutz, Resilienz und die Reduktion des Wachstumsreglereinsatzes im Roggen konkret. Entscheidend bleibt unser Ansatz: wissenschaftlich fundierte Halbzwerge, die durch Leistung überzeugen – in der Fläche, über Jahre, auf Ihren Schlägen.
Bildquellen: Alle Bilder Hackauf
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Klimawandel, Extremwetter und Nachhaltigkeitsanforderungen fordern neue Ansätze im Roggenanbau. Halbzwerg-Roggen mit verkürztem Halm – vermittelt durch das Gen Ddw1 – bietet Standfestigkeit, reduziert Lagerrisiken und ermöglicht den Verzicht auf Wachstumsregler. Die HYBRO Saatzucht treibt diese Entwicklung seit über einem Jahrzehnt voran, u. a. im Rahmen des Exzellenzprojekts RYE-HUB. Ziel ist es, leistungsfähige, klimarobuste Sorten marktreif zu machen. Neben der verbesserten Ernteführung und Ressourceneffizienz zeichnen sich Halbzwerge durch gleichmäßige Blüte und verbesserte Mutterkornabwehr aus. Halbzwerge stehen für einen züchterischen Paradigmenwechsel: keine „Mini-Roggen“, sondern optimierte Pflanzenarchitektur – standfest, ertragsstabil und zukunftsfähig.
Unterschiedliche Kurzstrohquellen und Geninteraktionen erfordern dabei fundierte Forschung und sorgfältige Prüfung. Denn es muss ausgeschlossen werden, dass die Genetik für die Eigenschaft Kurzstroh auf der anderen Seite Nachteile für z. B. die Wurzelbildung oder die Ertragsleistung hat.