Nahaufnahme von weißen, faserigen Strukturen auf dunklem Hintergrund, möglicherweise Wurzeln oder Fäden. (automatisch generiert durch KI)

Wurzelkraft statt Proteindruck: Potenzial des Roggens in modernen Getreidefruchtfolgen

Halbzwerge beim Roggen sind neu und bedeuten einen Paradigmenwechsel für den Anbau dieses traditionellen Getreides. Eine systematische, begutachtete Begleitforschung – mehrjährig, mehrortig, standardisiert – unterstützt ihre Markteinführung (s. auch praxisnah 4/25). Dr. Dörthe Siekmann, HYBRO Saatzucht, präsentiert die Ergebnisse des Wurzelmoduls der Begleitforschung.

Wurzeln – die im Verborgenen wirkende Kraft des Roggens

Die Wurzel: verankert den Roggen, nimmt Wasser und Nährstoffe auf und synthetisiert eine Vielzahl von Stoffwechselprodukten. Begleitforschung schafft auch Transparenz und unabhängig geprüfte Sicherheit, um Sorten zu entwickeln, die bestmöglich auf die Bedürfnisse von Landwirten, Umwelt und Verbrauchern angepasst sind. Roggen hat sich historisch auf leichten, ärmeren Standorten behauptet. Diese natürliche Selektion begünstigte ein Wurzelsystem, das früh, tief und fein verzweigt in den Boden vordringt und Wasser sowie Nährstoffe effizient erschließt. Es sind keine tradierten Mythen: Für eine einzelne Roggenpflanze wurden ~622 km Gesamtwurzel und ~11.000 km Wurzelhaare wissenschaftlich dokumentiert – ein eindrucksvolles Potenzial für einen nachhaltigen Pflanzenbau. In Versuchen setzte Roggen pro Liter Wasser rund 35 % mehr Trockenmasse um als Weizen, und die N-Auswaschung lag im Mittel bei ~3 kg N/ha gegenüber ~18,6 kg N/ha im Weizen. In der Klimabilanz führt das insbesondere bei Hybridroggen – unterstützt durch seine ausgewiesene Blattgesundheit – zu ~20 % geringeren Treibhausgasemissionen und einem ~8 % niedrigeren CO₂-Fußabdruck gegenüber Weizen, wie Forschung am Julius Kühn-Institut belegt. Für die Praxis ist das ein nachgewiesener Beitrag, um den Zielkonflikt zwischen Ertragssicherung und Umweltschutz im Getreidebau zu entschärfen.



„Wir wissen, was Roggen kann. Mit RYE-HUB wollen wir das Warum noch besser verstehen. Dafür setzen wir Spitzentechnologie dort ein, wo sie Erkenntnis bringt – interdisziplinär, an der Wurzel. So schaffen wir die Basis für robuste Empfehlungen und eine klimafeste Pflanzeninnovation: Halbzwerge beim Roggen.“ Dr. Dörthe Siekmann (Leiterin Forschung & Entwicklung HYBRO Saatzucht; Koordinatorin RYE-HUB)

Roggen punktet zusätzlich über die Kornqualität:

  • Beim Roggen bestimmt – anders als beim Weizen – nicht der Proteingehalt die Backqualität. Das nimmt Druck von der späten N-Gabe: Wir düngen nach Wetter, nicht nach Protein; Gaben splitten, an Schauer andocken, auf Ertrag und Fallzahl führen.
  • Roggen liefert Enzym-Kompetenz: Im Gegensatz zu Mais, Weizen und Gerste liegt viel Phytase bereits im Korn; ein natürlicher Hebel für P-Effizienz und Gewässerschutz.
  • Mutterkorn ist züchterisch adressiert: Die Beschreibende Sortenliste des Bundessortenamtes dokumentiert Sorten mit Mutterkornabwehr APS ≤ 4 aus allen Roggenzuchtprogrammen; Management bleibt Pflicht, das Risiko ist aber planbarer. Der Fokus liegt auf Ertragshöhe und -stabilität.
  • Das Wurzelsystem von Halbzwergen im Praxistest

Auch der verborgene Teil des Roggens steht bei der Begleitforschung auf der Agenda und die messbaren Ergebnisse der Untersuchungen werden begutachtet und ohne Einschränkung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. In einer Feldstudie an zwei Standorten hat das Julius Kühn-Institut den Einfluss des Kurzstrohgens Ddw1 auf das Wurzelsystem unter Praxisbedingungen geprüft. Ergebnis: Kein negativer Effekt auf die Wurzel durch Ddw1 in der HYBRO-Genetik; teils leichte Pluspunkte – Ddw1 spart oben nicht unten.


Drei Bilder: Zwei Männer arbeiten auf einem Feld mit hohem Gras, ein Gerät im Boden, ein Mann steht neben einem Fahrzeug. (automatisch generiert durch KI)
Von links: motorisierte Kernbohrung im Roggenbestand; Nahaufnahme des Bohrkerns im Feld; hydraulische Bergung des Bohrkerns; entnommener Bodenmonolith im Probenrohr; Quelle Hackauf


So wurde gemessen:

  • Zeitpunkt: Milchreife
  • Probenahme: je Parzelle 3 Bohrkerne, Ø 6 cm, bis 150 cm Tiefe, in 10-cm-Segmente getrennt (Abb. 2)
  • Analyse: Kernbruch (Wurzelanzahl/cm²) + Wurzel-Scans; daraus Wurzellängendichte und Gesamtwurzellänge berechnet

Das sind die Ergebnisse:

  • Wurzelparameter: keine negativen Effekte der Halbzwerge; Tendenz leicht positiv im Oberboden bei max. Durchwurzelungstiefe, Gesamtwurzellänge und Wurzellängendichte, die kumulative Tiefenverteilung bleibt erhalten.
  • Spross/Ertrag: Pflanzenhöhe sank erwartungsgemäß (ca. –35 % in Groß Lüsewitz, –19 % in Braunschweig; dort Normalstroh-Vollgeschwister mit Wachstumsregler geführt). Ernteindex und Kornertrag stiegen in den ersten Prototypen nicht. Die Schlussfolgerungen: Die Standfestigkeit ist verbessert und die Ertragseffekte hängen vom genetischen Hintergrund ab – hier setzt die praktische Züchtung und die vorwettbewerbliche Gemeinschaftsforschung in RYE-HUB an.

Warum das zählt:

  • Praxisrelevant: Halbzwerge erhalten das Roggen-Wurzelplus, dies ist zentral für die N-Effizienz und Wasseraufnahme in der DüV-Realität.
  • Wissenschaftlich belastbar: Erste Feld-Evaluation des Effekts von Ddw1 auf das Wurzelsystem mit standardisiertem Protokoll und klarer Statistik liegt vor.
  • Standfeste Halbzwerge halten die Wurzel aktiv, weil Lager ausbleibt.

Mehr über Roggenwurzeln mit High-Tech-Phänotypisierung

Um die Wurzelstärken des Roggens gezielt zu nutzen, gehen wir den nächsten Schritt: Im BMFTR-Projekt RYE-HUB untersuchen wir das Wurzelsystem systematisch und in großer Zahl, mit GrowScreen-Rhizo 3 am Forschungszentrum Jülich, einer der modernsten Phänotypisierungsplattformen Europas. Die Anlage arbeitet nicht-invasiv in erdgefüllten Rhizotronen1 (≈ 900 Stück, 80 × 40 × 5 cm, auf 45° geneigt), sodass die Wurzeln an einer transparenten Front kontinuierlich sichtbar sind. Autonom fahrende Roboter bringen Rhizotron-Sets zu Messstationen; dort entstehen mehrperspektivische Sprossbilder sowie Wurzel-Gesamtbilder. So erfassen wir Wurzellänge und räumliche Verteilung im Substrat ebenso wie projizierte Blattfläche und Sprosshöhe, Wurzel und Spross gleichzeitig, standardisiert und im Hochdurchsatz.


Die zentralen Leitfragen für die Praxis

  • Gibt es generelle Unterschiede im Wurzelsystem des Roggens (biologische Vielfalt der Wurzeltypen)
    Für die Praxis: Wir klären, welche Typen (tief, fein verzweigt, schnell startend) es wirklich gibt – und unter welchen Bedingungen sie Vorteile bringen.
  • Wie wirkt Ddw1 in frühen Entwicklungsphasen auf die Wurzel?
    Für die Praxis: Wir prüfen, ob die verkürzte Sprossarchitektur die Einwurzelung und frühe Feinwurzelbildung beeinflusst.
  • Welche Gene steuern die Wurzelentwicklung beim Roggen?
    Für die Praxis: Mit Pan-Genom und Markern identifizieren wir steuernde Genbereiche für Tiefe/Verzweigung – Grundlage für genombasierte Züchtung und künftig klarere Empfehlungen zu N-Effizienz und Wasseraufnahme.

Fazit

Roggen ist von Natur aus leistungsstark, auch dort, wo Weizen an Grenzen stößt. Mit diesem Projekt lernen wir ihn jetzt noch besser zu verstehen.

Das Projekt RYE-HUB wird gefördert über den Projektträger Jülich (Fkz. 031B1541 A-G) im Rahmen der Initiative „Moderne Züchtungsforschung für klima- und standortangepasste Nutzpflanzen von morgen“ des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR).

1 Rhizotron: Experimentelles System als Wurzelraum (Wurzel) einer Pflanze, um ökologische Prozesse wie Stoffumsätze oder Mykorrhizierung (Mykorrhiza) zu untersuchen. Quelle: www.spektrum.de (17.11.25)


Schnell gelesen (Kurzfassung):

Roggen überzeugt in modernen Fruchtfolgen vor allem durch die Stärke seines Wurzelsystems: tief, fein verzweigt und extrem leistungsfähig. Historisch auf leichten Standorten selektiert, erschließt er Wasser und Nährstoffe besonders effizient. Studien belegen rund 622 km Gesamtwurzel und 11.000 km Wurzelhaare pro Pflanze sowie eine deutlich bessere Wasser- und N-Nutzung als Weizen (s. Einleitungsbild). Dadurch sinken N-Verluste und Treibhausgasemissionen; Hybridroggen erreicht bis zu 20 % geringere Emissionen und einen 8 % kleineren CO₂-Fußabdruck. Auch qualitativ punktet Roggen: Backqualität ist nicht proteinabhängig, das Korn enthält viel Phytase, und Züchtungsprogramme haben das Mutterkornrisiko deutlich reduziert.

Die neuen Halbzwerge bedeuten einen Paradigmenwechsel. Begleitforschung des Julius Kühn-Instituts zeigt: Das Kurzstrohgen Ddw1 beeinflusst die Wurzel nicht negativ – teils sogar positiv im Oberboden. Standfestigkeit steigt, Ertragseffekte hängen vom genetischen Hintergrund ab. Damit bleibt Roggens Wurzelvorteil unter realen DüV-Bedingungen vollständig erhalten.

Im Projekt RYE-HUB wird das Wurzelsystem nun mit High-Tech-Phänotypisierung (GrowScreen-Rhizo) großflächig analysiert. Ziel sind ein besseres Verständnis der Wurzeltypen, des Einflusses von Ddw1 in frühen Entwicklungsphasen und der genetischen Steuerung der Wurzelarchitektur. So entsteht eine Basis für zukunftsfähige, effiziente und klimastabile Roggensorten.