Der Gesetzgeber will einige Grenzwerte für z. B. die von Fusariumpilzen gebildeten Mycotoxine T2/HAT.2-Toxin und Deoxynivalenol (DON) in Rohwaren und Lebensmitteln herabsetzen. Das hat Folgen für die landwirtschaftliche Produktion und die Verarbeitung von Getreide. praxisnah diskutierte mit Ulf Müller, dem Leiter für Qualitätsmanagement und Anwendungstechnik bei GoodMills Deutschland GmbH.
praxisnah: Herr Müller, um welche Dimensionen geht es bei der geplanten Absenkung von Grenzwerten?
Ulf Müller: Ein Beispiel: Bei DON sollen die Werte im Rohstoff von 1250 µg/kg auf 1000 µg/kg abgesenkt werden, für das Brot von 500 µg/kg auf jetzt 400 µg/kg. Für den Lagerpilz Ochratoxin A, ein Schimmelpilz, ist sogar eine Halbierung von 3 µg/kg auf 1,5 µg/kg im Brot vorgesehen.
Diskutiert werden auch die sogenannten maskierten Mycotoxine, wie z. B. DON-25 Glykosid, 3-Acetyl-DON und 15-Acetyl DON. Das sind u. a. Mycotoxine, die modifiziert wurden, z. B. in der Pflanze im Rahmen ihres „Entgiftungsprozesses“ oder aber vom Pilz selbst. Diese Metaboliten sind dann den ursprünglichen Mycotoxinen strukturell und analytisch sehr ähnlich.
Warum diskutiert man jetzt neue Grenzwerte?
Es gibt neue Erkenntnisse aus der Medizin über die Auswirkungen oder möglichen Folgen in Mensch und Tier. So wurden für die Ergotalkaloide die „Akute-Referenz-Dosis“ (ARfD), die das akute Risiko beschreibt und die „tolerierbare tägliche Aufnahmemenge“ (TDI), die das chronische Risiko beschreibt, herabgesetzt.
Welche Kulturarten sind besonders betroffen?
Aus Mühlensicht sind dies Roggen und Weizen, wobei bei Weizen – besonders Sommerweizen – auch zunehmend Mutterkorn ins Gespräch kommt. Bei Roggen bekommen wir die Mutterkörner relativ gut herausgereinigt, weil sie sich in Größe und spezifischem Gewicht vom Roggenkorn klar unterscheiden. Bei Weizen sieht das leider anders aus, da sind die Mutterkörner nicht nur gleich groß wie das Weizenkorn, sondern auch vergleichbar schwer. Für beide gilt es, auch mögliche Mutterkornstäube zu minimieren bzw. zu entfernen.
Gibt es hier regionale Unterschiede?
Die gibt es jedes Jahr aufs Neue. Zum einen natürlich beeinflusst die Jahreswitterung das Infektionsrisiko. Aber auch die Fruchtfolge spielt eine große Rolle: Wenn es regional üblich ist, Weizen nach Mais zu stellen – wie im Maisgürtel Bayerns – und viele Erntereste auf dem Feld zu lassen, dann erhöht das natürlich das Infektionsrisiko für Fusarien.
Was kann die Landwirtschaft tun, um die Mykotoxinbelastung für die gesamte Lebensmittelkette zu minimieren?
Zunächst muss man klar sagen: Hier muss jede Stufe der Lebensmittelkette ihren Beitrag leisten! Und jede Stufe hat auch die Möglichkeiten zur Einflussnahme! Auf der landwirtschaftlichen Stufe fängt das mit der Ackerhygiene an: Weniger Erntereste, weniger Unkräuter bedeuten ein geringeres Infektionsrisiko.
Bei der Erzeugung von Qualitätsgetreide sollten zudem gesunde Sorten ausgewählt werden – denn da gibt es erhebliche Unterschiede. Der konventionellen Landwirtschaft stehen wirkungsvolle Fungizide zur Verfügung – die müssen allerdings auch zum richtigen Zeitpunkt appliziert werden, um effektiv zu sein.
Welche Möglichkeiten haben die aufnehmende Hand und die Verarbeitung, die Belastung weiter zu senken? Wo sind Grenzen?
Getreidestäube sind eine Schadstoffsenke und meist hoch belastet: Da sammeln sich auch die meisten Pilztoxine. Wenn man also den Staub vom Grobgetreide entfernt, hat das einen enormen Einfluss auf den Schadstoffgehalt der Getreidepartie. Aber: Bis zu 2 % Staubbelastung in der Stufe Handel zu Verarbeitung sind häufig vertraglich zulässig! Das Reinigen von Stäuben ist sehr aufwendig hinsichtlich Zeit, Lager und Logistik, weshalb das auf Handelsstufe nur selten in vollem Umfang durchgeführt wird.
Also bleibt das an der Verarbeitungsstufe hängen?
In der Regel ist das so. Wir trennen die Stäube rein physikalisch in mehreren Schritten vom Erntegut. Diese Stäube müssen dann entsorgt werden. Die Verarbeiter tragen die Verantwortung für die Mehlqualität und damit auch für die Belastung des Endproduktes wie Brot.
Wie fordernd sind die neuen Grenzwerte für Sie hinsichtlich dieser Verantwortung für das Endprodukt?
Ich möchte das mal so sagen: Wenn die Rohware knapp unter dem Grenzwert liegt, z. B. 900 µg/kg DON, dann wird es für unmöglich, diese Belastung z. B. im Vollkornmehl auf 400 µg/kg zu reduzieren. Dieses Missverhältnis von Grenzwert Rohware zu Mehl ist eigentlich unser Hauptproblem. Dieses Ausmaß an Reduktion wäre müllereitechnisch nur mit ganz erheblichen Verlusten vom Korn zu realisieren, ohne eine garantierte Sicherheit zu erlangen. Aber dann ist es für uns wirtschaftlicher und sicherer, weniger belastete Rohware zu kaufen.
Das Vorerntemonitoring wird daher immer wichtiger. Zudem treffen wir schon im Vorfeld Vereinbarungen mit den landwirtschaftlichen Betrieben, bleiben aber flexibel. Und in dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit einigen wir uns auch auf geeignetere Sorten, die angebaut werden sollten.
Es gibt einige politische Forderungen: „Farm to Fork“, Ackerrandstreifen, Pflanzenschutzmittelreduktionen etc. Wie beurteilen Sie diese aus Ihrer Sicht?
Weniger Unkrautbekämpfung lässt mehr Durchwuchs zu, und es steigt die Gefahr von Kreuzkontaminationen auf dem Feld. Alkaloidbelastungen sind auch im Bioanbau ein bekanntes Problem, Stichwort Stechapfel. Kreuzkontaminationen werden auch mit Blick auf Allergiker immer relevanter. Eiweißpflanzen werden politisch gefördert und Fleischersatzprodukte sind im Kommen. In der Folge weitet sich der Anbau von Soja und Lupinen aus. Durchwuchs und besonders die Logistikkette machen es immer schwerer, die Getreidepartien zu 100 % sauber zu halten. Auch Senf – ideal für die geforderte Bodenbedeckung – ist ein Allergen und der Durchwuchs führt wieder zu Kreuzkontaminationen. Ackerrandstreifen können – je nach Zusammensetzung – auch dazu führen, dass Schädlinge, Ungräser und Krankheiten ins Feld einwandern. Das ist ein Dilemma: Einerseits will man die Insektenwelt fördern, andererseits hat das aber auch Nachteile. Ergotalkaloide – also Mutterkorn – werden hier besonders gefördert. Es ist fachlich bestätigt, dass das Vorhandensein von Ackerfuchsschwanz die Ergot-Gehalte beeinflusst.
Wenn tatsächlich auf lange Sicht 25 % der Betriebe auf Biolandwirtschaft umgestellt haben, bedeutet das für uns weniger Qualitätsweizen und weniger Protein im Weizen. Das macht uns in der Rohwarenbeschaffung weniger flexibel, die Selektionsmenge wird kleiner.
Was für ein Fazit würden Sie ziehen?
Die Grenzwertabsenkung kommt, das ist so gut wie sicher. Die politischen Forderungen sollen die Natur und damit auch den Menschen besser schützen, aber sie fördern u. a. das Vorkommen von Allergenen. Bei ca. 6 Millionen Menschen, die gegen Lebensmittel allergisch sind, ist das eine wirkliche Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Sicher ist: Wir werden für diese verschärfte Situation Lösungen finden, weil wir es müssen! Mehl ist ein Grundnahrungsmittel, das wir in hoher Qualität zur Verfügung stellen. Verbraucherschutz ist ein hohes Gut und erfordert ein Ineinandergreifen von qualitätssichernden Maßnahmen in der gesamten Produktionskette – vom Feld an bis ins Regal.
Schnell gelesen (Kurzfassung):
Hier die Eckdaten des Gesprächs in einer kurzen Übersicht:
- Grenzwerte von z. B. DON oder Ochratoxin A werden erheblich abgesenkt, für einige Produktgruppen gibt es neue Grenzwerte, wo vorher noch keine waren.
- Dies geschieht aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse über die Auswirkungen der Gesundheit von Mensch und Tier.
- Aus Mühlensicht sind besonders Roggen und Weizen betroffen, wobei bei Weizen – besonders Sommerweizen – auch zunehmend Mutterkorn ins Gespräch kommt.
- Jedes Jahr zeigen sich hinsichtlich der Befallsstärke von Partien regionale Unterschiede.
- Verbraucherschutz fängt schon auf dem Feld an und setzt sich über die gesamte Lebensmittelkette fort. Über Ackerhygiene - weniger Erntereste, weniger Unkräuter bedeuten ein geringeres Infektionsrisiko – lässt sich das Risiko der Lebensmittelkontamination schon deutlich senken. Bei der Erzeugung von Qualitätsgetreide sollten zudem gesunde Sorten ausgewählt werden.
- Auch die aufnehmende Hand und die Verarbeitung können die Belastungen noch einmal deutlich senken:
- Zum Beispiel durch das Abscheiden von Getreidestäuben, die eine Schadstoffsenke sind. Wenn man den Staub vom Grobgetreide entfernt, hat das einen enormen Einfluss auf den Schadstoffgehalt der Getreidepartie. - Besondere Schwierigkeiten macht den Verarbeitern die Differenz zulässiger Höchstgehalte zwischen Rohware und Mehl. Da dieses Ausmaß an Reduktion müllereitechnisch nur mit ganz erheblichen Verlusten vom Korn zu realisieren wäre, ist es meist wirtschaftlicher und sicherer, weniger belastete Rohware einzukaufen.
- Das Vorerntemonitoring erlangt einen immer höheren Stellenwert, wie auch Absprachen von Landwirtschaft und Verarbeitung hinsichtlich Sortenwahl.
- Einige politische Forderungen wie „Farm to Fork“, Ackerrandstreifen, Pflanzenschutzmittelreduktionen, sind zwar aus Umweltschutzgründen zu begrüßen, oft aber mit Blick auf die Getreidequalität kontraproduktiv. Problematisch werden hier zunehmend Kreuzkontaminationen mit allergenen oder giftigen Pflanzen (Bsp. Senf, Stechapfel): Die politischen Forderungen sollen die Natur und damit auch den Menschen besser schützen, aber sie fördern u. a. das Vorkommen von Allergenen. Bei ca. 6 Millionen Menschen, die gegen Lebensmittel allergisch sind, ist das eine wirkliche Herausforderung.
Das Fazit von Ulf Müller: Wir werden für diese verschärfte Situation Lösungen finden, weil wir es müssen! Mehl ist ein Grundnahrungsmittel, das wir in hoher Qualität zur Verfügung stellen. Verbraucherschutz ist ein hohes Gut und erfordert ein Ineinandergreifen von qualitätssichernden Maßnahmen in der gesamten Produktionskette – vom Feld an bis ins Regal.