Finden zweizeilige Winterfuttergersten den Weg auf norddeutsche Äcker?

Finden zweizeilige Winterfuttergersten den Weg auf norddeutsche Äcker?

Was man in Süddeutschland wie selbstverständlich auf den Feldern findet, ist im Norden und besonders in Schleswig-Holstein eher eine Rarität: zweizeilige Winterfuttergerste. Zwar gehen einerseits die Viehbestände zurück, andererseits aber öffnen sich neue Märkte. praxisnah sprach mit Helge Treuherz, Landhandel Trede & von Pein, und Janne Vogt, Landhandel Röschmann, über die Chancen für diese Kultur im Markt für Pferdemüsli und die Zukunft für zweizeilige Futtergerste in Norddeutschland.

Von links nach rechts: Helge Treuherz, verantwortlich für Getreidesaatgut und Pflanzenschutz bei Trede & von Pein, Jonas Fahrenkrog und Andreas Henze, Fachberater Schleswig-Holstein für praxisnah, Janne Vogt, verantwortlich für Qualitätssicherung und Produktentwicklung Landhandel Röschmann in Hadenfeld
Von links nach rechts: Helge Treuherz, verantwortlich für Getreidesaatgut und Pflanzenschutz bei Trede & von Pein, Jonas Fahrenkrog und Andreas Henze, Fachberater Schleswig-Holstein für praxisnah, Janne Vogt, verantwortlich für Qualitätssicherung und Produktentwicklung Landhandel Röschmann in Hadenfeld
Für den Futtermittelproduzenten LH Röschmann hatte Wintergerste natürlich immer schon einen festen Platz als Futterkomponente besonders im Schweinefutter. Das Unternehmen hat jedoch sehr früh erkannt, dass die Reiterszene von heute anders tickt als noch vor 20 Jahren. Zum einen brauchen viele Reitpferde nur wenig Energie im Futter, zum anderen nehmen bestimmte Krankheiten und Allergien bei den Tieren zu, da könnte eine diätische Ernährung Linderung versprechen. Der Trend geht daher schon seit Jahren zum Pferdemüsli.

„Wir haben für alle möglichen Pferdetypen das entsprechende Futter bzw. Müsli im Programm. ‚Müslikunden’ lehnen meist den energiereichen Hafer als Futterkomponente ab, weil sie Angst davor haben, dass ihr Pferd ‚der Hafer sticht’. Ob das nun stimmt oder nicht – ich persönlich halte Hafer für ein tolles Futter – reagieren wir natürlich auf diese Wünsche. Tatsächlich gibt es noch eine weitere Tendenz: Man überträgt oft Diskussionen aus der Humanernährung 1:1 auf das Pferd. Daher gibt es auch Kundinnen und Kunden, die gar kein Getreide mehr füttern wollen. Stichworte hier sind Low Carb und glutenfrei. Für diejenigen aber, die Getreide befürworten, spielt der hohe Rohfaseranteil der Gerste eine Rolle“, schildert Janne Vogt die aktuelle Situation.


Zurzeit ist Wintergerste mit einem Anteil von 30–35 % die Hauptkomponente in den Müsliarten. Um Gerstenflocken zu produzieren, braucht es große, gesunde Körner, die zudem eine helle, goldgelbe Farbe mitbringen sollten. Und an diesem Punkt kommt zweizeilige Wintergerste ins Spiel. Helge Treuherz erläutert: „Zweizeiler haben meist dickere Körner und ein höheres Hektolitergewicht, weil die Körner in der Ähre keiner so ausgeprägten Konkurrenzsituation ausgesetzt sind wie bei Mehrzeilern. Bezüglich der anderen für die Verarbeitung wichtigen Qualitätskriterien sehen wir keine erkennbaren Unterschiede zwischen zwei- und mehrzeiligen Sorten.“


Exaktversuche zeigen, dass Zweizeiler ertraglich aufgeholt haben.

Treuherz legt jedes Jahr Exaktversuche für Sorten an, in denen er die agronomischen Eigenschaften testet. In diesen Versuchen ist er auf die Sorte BORDEAUX aufmerksam geworden, die jetzt für die Müslisorten des LH Röschmann nahezu sortenrein (meist im Vertragsanbau) auf ca. 130 Hektar produziert wird.

Praktiker Treuherz sieht den Rohstoff natürlich eher aus der Perspektive der Landwirte: „Für diejenigen, die für das Müsli den Rohstoff Gerste produzieren wollen, sind besonders die agronomischen Eigenschaften für einen wirtschaftlichen Anbau relevant. Natürlich ist der Ertrag das wichtigste Kriterium –, aber eben immer in Kombination mit einem sicher zu erreichenden HL-Gewicht. Im Norden hält sich bei vielen Landwirten und Beratern hartnäckig die Meinung, dass der Ertrag von zweizeiligen Wintergersten immer signifikant geringer ist als bei Mehrzeilern. Wir können aber beobachten, dass es Sorten gibt, die ertraglich mit den führenden Mehrzeilern gleichauf sind. Auch in Sachen Strohstabilität, – die ist mir als Gerstenproduzent ebenfalls sehr wichtig –, ist züchterisch sehr viel passiert.“

Dichte Bestände helfen auch, Ungräser und Unkräuter zu unterdrücken.
Dichte Bestände helfen auch, Ungräser und Unkräuter zu unterdrücken.

In den Landessortenversuchen im Jahr 2022 wurden in Schleswig-Holstein nur zwei zweizeilige Gerstensorten geprüft, in Mecklenburg-Vorpommern waren es sechs von 26. Zweizeiler kann man also durchaus als „Stiefkinder“ im Norden bezeichnen. Die Ergebnisse der LSV decken sich dabei nicht ganz mit den Erfahrungen, die Helge Treuherz in der Praxis gemacht hat. Und er kann dies auch begründen: „In den Landessortenversuchen werden natürlich alle Sorten immer gleich behandelt. In der Praxis aber hat man die Möglichkeit, individueller zu reagieren. Das fängt schon bei der Aussaat an: Bei zweizeiligen Gersten strebt man ca. gut 900 Ähren/Quadratmeter an, man braucht also schon mal höhere Aussaatstärken als bei Mehrzeilern. Um zudem eine ausreichende Bestandesdichte zu erreichen, muss mit Vegetationsbeginn eine angepasst hohe Stickstoffstartgabe von 80–100 kg je Hektar erfolgen. Wenn man diese Gersten so führt, danken sie einem das mit höheren Erträgen – die neuen Sorten wie BORDEAUX schließen dann problemlos ertraglich auf.“


Andreas Henze, Fachberater für Schleswig-Holstein*, ergänzt: „Man muss auch die Bedürfnisse der einzelnen Sorte kennen. BORDEAUX zum Beispiel reagiert intensiv auf Wachstumsregler: Ein Zuviel an dieser Stelle kostet Ertrag, das muss man berücksichtigen!“

Höhere Bestandesdichten und die Frohwüchsigkeit im Herbst haben aber noch einen ganz wichtigen, angenehmen Nebeneffekt, wie Treuherz beobachtet hat: „In meinen Versuchen zeigen sich die Zweizeiler im Herbst sehr wüchsig, was im Unkrautmanagement eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. In diesen dichten Beständen beobachten wir dann deutlich weniger Ackerfuchsschwanz als bei den Mehrzeilern.“


Kommen Zweizeiler im Norden aus der Nische heraus?

Welche Zukunft sehen Helge Treuherz und Janna Vogt für die zweizeilige Futtergerste im Norden? Beide sind sich einig, dass die Trends der Zeit die zweizeilige Wintergerste zu fördern scheinen. „Mit sinkenden Schweinebeständen geht auch die Nachfrage nach Futtergerste in diesem Segment zurück. Will man die Ware für andere Märkte nutzen, werden bestimmte Qualitäten wichtiger – zum Beispiel ein großes Korn für größere Flocken. Hohe Hektolitergewichte sind dann auch in Grenzlagen möglich, wie „unsere“ Landwirte demonstrieren konnten“, führt Vogt aus. „Zweizeiler brauchen etwas weniger Pflanzenschutz und weniger Wachstumsregler, das ist ja heutzutage nicht nur aus Kostensicht relevant. Zudem unterstützt das Wuchsverhalten im Herbst meine Maßnahmen gegen Ackerfuchsschwanz und Co.“, stellt Helge Treuherz die Sicht der Produzenten dar.

Es spricht also einiges für den Anbau zweizeiliger Wintergerste auch in Norddeutschland. Ob die Praxis das auch erkennt, wird die Zukunft zeigen.

*Herr Henze ist mittlerweile im Ruhestand. Sein Nachfolger ist Jonas Fahrenkrog.


Schnell gelesen (Kurzfassung):

Der Landhandel Röschmann hat früh erkannt, dass der Pferdefuttermarkt sich massiv verändert und sich damit auch für Futtergerste öffnet. Gründe hierfür sind, dass Freizeit-Reitpferde nur wenig Energie im Futterbenötigen  und auch Allergien und bestimmte Krnkheiten bei den Tieren zunehmen. Der Trend geht schon seit Jahren daher zum Pferdemüsli. Und hier bietet das Unternehmen für die unterschiedlichsten Pferdetypen Müslivarianten an. Zurzeit hat Wintergerste einen Anteil an den Müslisorten von im Schnitt 30-35 %. Für das Produkt Müsli müssen Gerstenkörner groß und gelb sein, um den Ansprüchen zu genügen. Da zweizeilige Gersten tendenziell die größeren Körner haben und auch das höhere Hl-Gewicht, werden zweizeilige Gersten für die Müsliproduktion bevorzugt.

Für die Landwirte und Landwirtinnen ist es dabei wichtig, ertragsstarke und standfeste Sorten zu wählen. Um ertraglich an die mehrzeiligen Sorten heranzukommen, müssen zweizeilige Gersten anders geführt werden. Das fängt mit einer höheren Aussaatstärke an (Ziel: 900 Ähren/m²) und daher muss dann auch eine höhere Andüngung erfolgen. Zudem wird weniger Pflanzenschutz benötigt. Die hier bevorzugte Sorte BORDEAUX reagiert darüber hinaus sehr gut auf Wachstumsregler, eine aus Sicht der Sorte zu hohe Aufwandmenge kostet Ertrag.

Trede & von Pein führt zu solchen Fragestellungen auch Anbauversuche durch. Es hat sich gezeigt, dass durch die hohe Bestandesdichte auch die Unkrautunterdrückung gut ist - das Problemgras Ackerfuchsschwanz ist in zweizeiligen Beständen weniger zu beobachten als in den lockeren mehrzeiligen Beständen.